Bikeeverest Tirol

In vier Tagen mit Rucksack und E-MTB von Garmisch durch Westtirol zum Plamortboden beim Reschensee (200 km, 6.400 Hm)

Vier Tage, vier Gebirge, spektakuläres Alpen-Sightseeing. Zum ersten Mal war ich mit dem Bike in den Lechtaler Alpen, in der Samnaungruppe, der Sesvennagruppe und in den Ötztaler Alpen. Krönender Abschluss der letzten Etappe ist die Aussicht vom “Poser”-Felsen am Plamortboden mit Blick auf den Reschensee und den Ortler.

Der Originalstreckenverlauf des “Bikeeverest Tirol” geht über 7 Etappen mit insgesamt 8.848 Höhenmetern, so viele, wie der Mount Everest hoch ist. Die Vorstellung, “von zu Hause aus” mit dem Bike quer durch den Westen Tirols zu biken, hatte mich sofort gepackt. Konzept und Umsetzung des Bikeeverest Tirol sind überzeugend. Auf der Homepage kann man sich ausführlich über den Streckenverlauf der einzelnen Etappen schlau machen, die GPS-Daten herunterladen und bekommt außerdem Tipps, wo es Übernachtungsmöglichkeiten und Ladestationen für E-Bikes gibt und wie man per Shuttle wieder nach Hause kommt. Die Etappen sind nicht speziell auf E-MTBs ausgerichtet, sondern auch ohne Motorunterstützung zu bewältigen. Unsere Tour weicht zum Teil von der Originalroute ab, drei Etappe haben wir weggelassen.

Der Bikeeverest Tirol verläuft überwiegend auf Forststraßen, erfordert also keine besonderen technischen Fertigkeiten, allerdings - auch mit dem E-Bike - eine ganz gute Kondition. Wer Lust auf Trails hat, bekommt in den Bikeparks am Grubigstein, in Serfaus und bei den 3-Länder Enduro Trails viele Gelegenheiten, um beim Downhill etwas Abwechslung unter die Reifen zu bekommen. Einige Trails verlaufen praktischerweise parallel zur Strecke, der flowige Plamorttrail kurz vor dem Ziel ist sogar Teil der Route.

Packliste: Landkarten, Lesebrille, Sonnenbrille, Luftpumpe, Stirnlampe, Drecksack, Erste-Hilfe-Kit, Energieriegel, Geldbörse, Ladekabel (Handy, Uhr), Kulturbeutel mit dem Nötigsten, 2 Paar Socken, Unterwäsche, 2 T-Shirts, Fleecejacke, Regenhose, Regenjacke, Käppi, Helmmütze, Bufftuch, lange Handschuhe, Überhandschuhe für Regen, Knieschützer, leichte Funktionshose und leichte Turnschuhe (wenn man mal nicht auf dem Bike sitzt). Klingt unglaublich, aber das passt alles in einen 30-Liter-Rucksack und wiegt 6 Kilo. Das Reparaturset findet in der Satteltasche Platz, das Reiseladegerät (2 A) in der Oberrohrtasche.

Karten: Kompass Lechtaler Alpen, Hornbachkette (Nr. 24), Kompass Zugspitze, Mieminger Kette (Nr. 25), Kompass Landeck, Nauders, Samnaungruppe (Nr. 42)

Navigation: Komoot auf dem Smartphone in Lenkerhalterung. Smartphone über Schnittstelle am Kiox-Bikecomputer aufladbar. Das klappt bestens, das Telefon war am Ende des Tages immer vollständig aufgeladen.

1. Etappe

Lermoos - Imst (58 km, 1.600 Hm, 4.5 h)

Die Starttour führt uns von Lermoos über den Fernpass nach Imst, das entspricht der dritten Etappe der offiziellen Route des “Bikeeverest Tirol”. Die erste Etappe (Werdenfelsrunde) und die zweite von Garmisch über Hochtörle nach Ehrwald haben wir ausgelassen, weil wir diese Strecken schön öfter auf Tagestouren gefahren sind.

Frühmorgens nehmen wir die Regionalbahn nach Lermoos. Das dauert eine halbe Stunde und spart Kräfte für diese längste Etappe der Tour. Auf dem kleinen Bahnhof in Lermoos wuchten wir die Bikes aus dem Waggon und machen uns auf den Weg zum ersten Highlight des Tages, dem imposanten Grubigstein (2.233 m).

Nach kurzer Fahrt durch Lermoos geht es auf einem breiten Forstweg rund 1.000 Höhenmeter hinauf zur Grubighütte (2.050 m). Zeit für eine Espressopause. Die Aussicht über den weitläufigen Ehrwalder Talkessel nach Westen auf das Gaistal, das das Wettersteingebirge und die Mieminger Kette trennt, ist umwerfend.

Der Grubigstein wird von Bikern wegen seinem verzweigten Netz von Naturtrails geschätzt. Überregional bekannt ist der Blindseetrail, der sich 7 Kilometer lang über die Südflanke des Grubigsteins bis zum Blindsee hinabschlängelt. Er ist als schwer eingestuft, was man ernst nehmen sollte. Mir fehlen dafür der technische Feinschliff und die nötige Schwindelfreiheit. Deshalb biegen wir beim Runterfahren bei der Grubigalm etwa auf halber Höhe des Bergs nur auf den mittelschweren Grubigalmtrail ab, was mit dem schweren Bike und Gepäck durchaus eine Herausforderung ist, aber natürlich spannender als die lange Abfahrt nonstop auf der kilometerlangen Schotterpiste.

Kurz vor Lermoos biegen wir scharf rechts in den Panoramaweg nach Biberwier ein, der für den nicht gefahrenen Blindseetrail voll entschädigt. Der Weg führt durch lichten Föhrenwald, es riecht unglaublich gut, und alle paar Meter lädt eine Bank mit Traumblick zum Rasten ein. Duftend geht es bis Biberwier und weiter durch Wald bis zum Mittersee mit Bademöglichkeit am südlichen Ende des Sees. Bald stoßen wir auf die Fernpassstraße, wo höchste Aufmerksamkeit beim Navigieren gefragt ist. Es geht nicht durch die Unterführung, sondern kurz davor links auf einen schmalen Pfad und dann noch einmal in einer Rechtskurve geradeaus auf einen noch schmaleren, etwas abenteuerlichen Pfad, bevor wir weiter nördlich die Landstraße überqueren, die von Biberwier zum Fernpass führt. Hier biegen wir in die Via Claudia Augusta ein, auf der schon die Römer zwischen Süddeutschland und Norditalien gependelt sind. Der Weg nach Imst ist ab hier gut ausgeschildert. Vorbei am Weißensee windet sich der Schotterweg bald recht steil nach oben auf die 1.200 Meter hoch gelegene Fernpasshöhe. Hut ab vor den Bikerinnen und Bikern, die sich mit schwer bepackten Trekkingrädern auf losem Untergrund und ohne Motor den Pass hinaufquälen.

Diesen Teil der Strecke in der Nähe der Fernpassstraße hatte ich mir eher unromantisch vorgestellt, wurde aber positiv überrascht. Nach der Fernpasshöhe rollt man weit oberhalb der lauten Straße durch Föhrenwald und zum Schluss sogar auf einem Waldtrail mühelos nach Nassereith. Mit dem Bike auf einer uralten Römerstraße Richtung Süden unterwegs zu sein, hat außerdem einen besonderen Charme.

 

Ab Nassereith geht es noch 15 Kilometer auf dem Bike-Trail-Tirol durch das weitläufige Gurgeltal flussabwärts bis zum Tagesziel Imst. Maßgeblich für die Auswahl unserer Bikeunterkünfte auf der Tour war das Vorhandensein eines abschließbaren Bikeraums. Als wir im Hotel in Imst ankommen, werden wir mit unseren Bikes in weitläufiges Kellergewölbe mit vielen Steckdosen geführt. Weit und breit keine anderes Bike und im ganzen Haus eine ruhige Nebensaisonatmosphäre. Umso überraschter sind wir, als der Kellerraum abends mit Rädern aller Art vollgestopft ist.

2. Etappe

Imst - Landeck (38 km, 1.100 Hm, 2.5 h)

Die Tour beginnt mit der Auffahrt in das Malchbachtal und führt dann über die Untermarkter Alm, Hochimst und Mils ins Inntal und auf dem Inntalradweg bis nach Landeck.

Imst hat zwei Hausberge, im Osten die charakteristische Pyramide des Tschirgant, der noch zur Mieminger Kette gehört, und im Westen den Muttekopf, ein Berg der Lechtaler Alpen. Bei bestem Wetter brechen wir Richtung Muttekopf auf.

Im Malchbachtal, rechts die Obermakter Alm

Der Uphill zur Latschenhütte verläuft auf einem breiten Forstweg, völlig einsam durch einen Föhrenwald. Auf Höhe der Obermarkter Alm lichtet sich der Wald. Sowohl Obermarkter Alm als auch Latschenhütte (1.620 m) sind Mitte Juni leider noch geschlossen.

Untermarkter Alm

Kurz unterhalb der Latschenhütte überqueren wir auf einer schmalen Brücke den Malchbach und rollen auf einem Forstweg hinunter zur Untermarkter Alm. Die “Alm” entpuppt sich als großgastronomischer Betrieb mit riesiger Panoramaterrasse direkt gegenüber der Mittelstation der Imster Bergbahn und dem Kassenhäuschen des Alpine Coasters. Man merkt, dass noch keine Hochsaison ist, wir haben einen ganzen Fahrradständer für uns allein und finden sofort einen Tisch mit Topaussicht auf den Tschirgant und die westlichen Ausläufer der Ötztaler Alpen. Die Fritattensuppe ist köstlich.

Tipp: Die Tiroler Fritattensuppe ist sehr zu empfehlen. Sie ist viel leckerer als die Brühen mit altem Pfannkuchen, die man in Bayern oft serviert bekommt. Sie schmeckt nicht nur gut, sondern füllt auch die Kraftspeicher wieder auf.

Auf dem Forstweg geht es weiter bergab bis zur Talstation der Bergbahn. Wir weichen gezwungenermaßen von der Originalroute ab, weil uns weiter oben an einem Wegkreuz ein Gatter mit Vorhängeschloss den Weg versperrt hat. Auf einigen Umwegen kommen wir wieder in die Spur und auf einen traumhaft schönen Panoramaweg in einem mediterranen Föhrenwald, auf dem wir bergab nach Mils fahren.

Besonders schön auf der gesamten Tour: Biken durch duftende Föhrenwälder

So schön die Tour heute bis hierher war, so unschön, aber unvermeidbar sind die folgenden 5 Kilometer entlang des Inns und der A12 durch das Industriegebiet von Mils. Bei Schönwies weitet sich das Inntal, und die Autobahn ist wieder außer Sicht. Trotzdem ist heute der Wurm in der Tour. Im Tal ist es schwül, dicke Gewitterwolken ziehen auf.

Auf dem Inntalradweg Richtung Landeck

Eigentlich wollten wir einen Abstecher zur Burg Falterschein an den Hängen des Venet machen (die Originalroute verläuft weiter unten bei der Burgruine Kronburg). Wegen des aufziehenden Gewitters beschließen wir, wieder ins Inntal ab- und auf dem Inntalradweg direkt nach Landeck zu fahren.

Tipp: Es gibt eine ausgeschilderte MTB-Tour nach Falterschein (MTB 705), die man nahtlos in die Tour einbauen kann.

Wir haben eine Unterkunft im Landecker Stadtteil Perjen auf der linken Innseite. Landeck ist kein Kandidat für den Preis für die schönste Stadt Westtirols. Bis in die 1980er Jahre brummte hier der Tourismus, allerdings um den Preis endloser Blechlawinen mitten durch die Stadt in den Hauptreisezeiten. Tunnel brachten Verkehrsentlastung, aber auch den Einbruch des Tourismus und rückläufige Bevölkerungszahlen. Eingepfercht zwischen Dreitausendern macht der Industrieschlot des Karbidwerks mitten in der Stadt den etwas tristen Gesamteindruck auch nicht besser.

Tipp: Ein alternatives Etappenziel ist das 10 Kilometer innaufwärts gelegene Dorf Fließ, das am sonnenbeschienenen Südhang des Venet liegt, ohnehin auf der Strecke liegt und mehrere Unterkunftmöglichkeiten bietet.

Der nächste Tag ist bikefrei. Mit der Venetbahn lassen wir uns von Landeck auf den Krahberg gondeln und wandern über den Bergrücken des Venetmassivs auf die Glanderspitze. Der Venet ist ein 15 Kilometer langer Bergstock, der wie eine Insel zwischen Ötztaler Alpen, Lechtaler Bergen und Samnaungruppe aufragt. Durch seine isolierte Lage ist er ein perfekter Panoramaberg. Die Rundumsicht auf der Glanderspitze, der höchsten Erhebung des Venet, haut einen tatsächlich um. Kaunergrat und Samnaungruppe sind zum Greifen nah. Die meisten Gipfel rundherum, von denen viele 3.000 Meter und höher sind, haben noch Schneeflecken. Dunstig im Norden kann man die Mieminger Gruppe und sogar die Zugspitze erkennen. Was für eine Aussicht!

3. Etappe

Landeck - Pfunds/Lafairs (53 km, 2.100 Hm, 4 h)

Die Stationen unserer Königsetappe sind Fließ, Niedergallmig, das Fisser Joch und der Bikepark Serfaus-Fiss-Ladis. Die zweite Hälfte dieser Etappe weicht von der Originalstrecke des Bikeeverest Tirol ab, die nicht über das Fisser Joch und nur bis Serfaus geht.

Nach der gestrigen Bikepause sitzen wir erholt und in gespannter Erwartung auf das, was der Tag bringen wird, wieder im Sattel.

Wir lassen den stickigen Talkessel von Landeck hinter uns und pedalieren in Serpentinen durch ein Waldstück bergauf. Wieder sind wir auf der Via Claudia Augusta und erreichen bald die Fließer Platte, ein kurzes Steilstück über eine Felsplatte. Die Vorstellung, dass schon die Römer mit ihren Karren über diesen Felsen gerumpelt sind, flößt Respekt ein. Wie froh bin ich über die Schiebehilfe an meinem Bike, die mich die letzten Meter ohne große Mühe hinaufbringt. Es folgt eine genussvolle Fahrt auf Wald- und Wiesenpfaden bis zum Örtchen Fließ am Südhang des Venet. Der Venet gehört geografisch noch zum Kaunergrat, weshalb es in Fließ das Naturparkhaus Kaunergrat gibt, das über die Besonderheiten dieses faszinierenden Ötztaler Gebirgsgrats informiert. Wir haben heute allerdings andere Ziele und rollen von Fließ auf der Asphaltstraße hinab ins Inntal, den wir beim Neuen Zoll überqueren.

Die Schöngampalm ist noch geschlossen.

Am anderen Ufer treten wir zunächst auf Asphalt, dann auf einem Schotterweg die knapp 1.000 Höhenmeter bis zur Schöngampalm (1.882 m) hinauf. Im Wald ist es schattig und angenehm kühl. Die Schöngampalm hat leider noch geschlossen, also keine Fritattensuppe, dafür eine Snackpause mit Riegeln auf der menschenleeren, weitläufigen Terrasse.

Die Schöngampalm ist auf der Nordseite von Zwölferkopf und Schönjöchl die einzige Einkehrmöglichkeit weit und breit. Etliche MTB-Touren und der 9 Kilometer lange Zirbentrail, der im Bikepark Serfaus am Zwölferkopf startet, führen hier vorbei. In der Saison ist hier bestimmt viel Betrieb. Auch die vielen Steckdosen für E-Bike-Ladegeräte lassen das vermuten.

Wir entschließen uns - abweichend von der Originalroute, die wieder ein Stück zurück und eine Etage tiefer um das Frommeskreuz herumführt -, die 500 Höhenmeter bis zum Fisser Joch in Angriff zu nehmen. Dank Motorunterstützung und gut ausgebauter Forststraße ist das keine schwere Aufgabe, und es ist faszinierend, weit über der Baumgrenze völlig einsam dem Zwölferkopf entgegenzubiken. Auf einem Schneefeld weit oben entdecken wir zwei Trailbauer, die mit Spitzhacken Teile des noch geschlossenen Zirbentrails aus dem vereisten Schnee freihacken.

Fisser Joch mit Blick auf den Zwölferkopf

Am Fisser Joch wechselt die Szenerie von einsamem Hochgebirge zu Vergnügungsparkrummel. Die Schönjochbahn hat den Betrieb schon aufgenommen und transportiert Familien, Wanderer und Biker auf das 2.436 Meter hoch gelegene Joch. Es ist der höchste Punkt auf unserer Tour. Die Bergstation der Gondel ist mit einem gigantischen Selbstbedienungs-Panoramarestaurant kombiniert. Dort finden wir auf der Terrasse einen Platz und genehmigen uns eine Sacherschnitte. Wanderer und Biker sind unterwegs zum in Sichtweite liegenden Gipfel des Zwölferkopfs.

Die Trails des Bikeparks Serfaus-Fiss-Ladis auf der Südseite des Zwölferkopfs sind schon geöffnet. Wie in vielen Alpenregionen verwandeln sich auch in Tirol viele Skigebiete im Sommer in Bikeparks. Die Liftanlagen werden als Zubringer zu den Downhills und Trails genutzt. Dazu gehört in Serfaus der legendäre Frommestrail. Nur ein paar Meter entfernt startet der als mittelschwer klassifizierte Jochtrail, der durch die steile Südflanke des Zwölferkopfs schneidet. Wir überlegen, ob wir ihn fahren sollen, da er in Fahrtrichtung liegt. Nach unseren nicht so überzeugenden Trailerfahrungen mit dem schweren Gepäck am Grubigstein entscheiden wir uns dagegen und nehmen die Forststraße bergab nach Fiss, ein touristisches Drehkreuz mit 7 Gondeln und Liften. Wie das hier wohl im Winter zugeht?

Start des Jochtrails

Von Fiss queren wir in westlicher Richtung hinüber in den schicken Wintersportort Serfaus. Dort leitet uns Komoot über die Zenobrücke talabwärts und schließlich auf eine Lichtung, auf der einsam und malerisch die Kapelle St. Georgen aus dem 12. Jahrhundert liegt. Hier ist erstmal Schluss. Der schmale Trampelpfad, der steil bergab in den Wald führt, sieht wenig einladend aus. Ein Blick in die Karte zeigt, dass wir weiter oben die Abzweigung auf die asphaltierte Straße ins Tal verpasst haben.

Kapelle St. Georgen im Nirgendwo

Tipp: Achtung bei der Planung der Strecke von Serfaus nach Pfunds mit Komoot. Gibt man nur diese beiden Wegpunkte ein, berechnet Komoot die Route über schmale Pfade in der Umgebung der Kapelle St. Georgen. Einer davon ist mit S2 ausgewiesen. Wer das nicht fahren möchte, sollte mit weiteren Streckenpunkten die Abfahrt auf der asphaltierten Straße über Stadelwies ins Inntal erzwingen. Die Straße wurde erst 2021 vollständig geteert und ist laut Hinweisschildern eigentlich nur an Wochenenden für Bikes geöffnet. Vermutlich ist sie deshalb nicht bei Komoot als Abfahrmöglichkeit ins Tal gelistet.

Im Tal angekommen, pedalieren wir gemütlich die restlichen 5 Kilometer auf dem Inntalradweg bis zu unserer Unterkunft in Lafairs bei Pfunds.

4. Etappe

Pfunds - Plamortboden (53 km, 1.600 Hm, 3.45 h)

Auf der finalen Etappe geht es erst durch das Oberinntal ins Dreiländereck, dann über die Norbertshöhe nach Nauders, auf den Plamortboden und schließlich wieder hinunter nach Nauders. Bei dieser Tagestour sind wir stark von der Originalroute des Bikeeverest Tirol abgewichen und haben die 6. und 7. Etappe zusammengelegt - Motorunterstützung sei Dank.

Die Aussicht, heute das Ziel der Tour, den Aussichtsfelsen auf dem Plamortboden, zu erreichen, bringt die müden Beine wieder Schwung. Erst einmal geht es auf dem Inntalradweg, der dem Lauf der Via Claudia Augusta folgt, tief in die Inntalschlucht hinein zur Klause Altfinstermünz. Die Brücke über den Inn an diesem sonnenarmen Ort war schon im ersten nachchristlichen Jahrhundert Teil der Via Claudia Augusta. Jahrhundertelang war die Festung an der Grenze zwischen Tirol und Graubünden eine wichtige Maut- und Zollstelle, an der buchstäblich kein Weg vorbeiführte.

Die frühere Maut- und Zollstation Altfinstermünz in der Inntalschlucht

Kurz nach Finstermünz macht der Radweg einen Schlenker nach rechts hinauf zur Landstraße. Der folgende 5 Kilometer lange Abschnitt bis Martina und dann noch einmal ein kurzes Stück vor Sclamischot müssen auf der Engadiner Landstraße absolviert werden. Das sind für mich wegen des Autoverkehrs die schwierigsten Kilometer der gesamten Tour, vor allem als wir im Tunnel von Lkws überholt werden und uns der Sog der vorbeidonnernden Laster durchrüttelt. Aber die Inntalschlucht ist hier so eng, dass es keine Ausweichmöglichkeit gibt.

Tipp: Nicht die Reschenstraße von Martina rauf nach Nauders nehmen (kürzer), die z. B. in der Kompasskarte als “Radweg” ausgezeichnet ist. Es gibt keinen separaten Radweg, man muss sich die Straße, die über viele Serpentinen und durch lange Tunnel führt, mit den Autos teilen. Der “Umweg” über Sclamischot und die Norbertshöhe, den die Streckenführung des Bikeeverest Tirol nimmt, erweist sich als idyllische MTB-Strecke.

Bei Sclamischot verlassen wir die Landstraße, überqueren auf einer Holzbrücke den Inn und begeben uns auf die Auffahrt auf die Norbertshöhe, einen nordwestlichen Ausläufer der Sesvennagruppe, die im Dreiländereck von Österreich, Schweiz und Italien liegt. Der größte Teil dieses Gebirgszugs gehört zum Engadin, ein Teil zu Südtirol, nur der kleine Nordzipfel der Norbertshöhe liegt in Tirol.

Gleich nach der ersten Kehre des Forstwegs wartet eine kleine Herausforderung, ein unbeleuchteter Tunnel. Er ist nur etwa 150 Meter lang, macht am Ende aber einen Knick nach links, deshalb kann man am Eingang kein Licht am Ende des Tunnels sehen. Ich habe sowieso immer meine Stirnlampe im Rucksack, die hier einen kurzen, aber guten Job macht. Nach ein paar weiteren Kurven geht es kilometerlang einsam, fast eben und erholsam durch Wald. Kurz vor der Reschenstraße fällt das Gelände ab. Wir überqueren die verkehrsreiche Straße und erreichen über Feldwege das Hochtal von Nauders (1.394 m). Der kleine Ort ist im Winter ein Skigebiet, das von Gipfeln der westlichen Ötztaler Alpen dominiert wird. Die bekanntesten und mit der Bergbahn erreichbaren sind der Tscheyeck (2.666 m) und die Bergkastelspitze (2.585 m).

Wir durchqueren das Dorf und pedalieren auf den MTB-Routen 7038 (Plamortrunde) und dann 7034 (Bergkastelrunde) in mäßiger Steigung bis zum Berghotel Jochelius auf 1.900 Metern Höhe. Ab hier wird der Weg steiler. An einer Wegkreuzung beschließen wir, einen Abstecher zu Piengalm zu machen, die wunderschön in einer Senke unterhalb des Piengkopfs liegt. Die Fritattensuppe ist köstlich und genau der richtige Booster vor dem letzten Anstieg zum Plamortboden.

Wir fahren ein Stück zurück zu einem Wegkreuz und dann links steil bergauf zur Bergstation der Bergkastelbahn, die auf 2.200 Metern Höhe liegt. Hier startet die Mountaincart-Strecke, auf der Menschen in dreirädrigen, tiefergelgten Carts, in Staubwolken gehüllt mit Volldampf auf dem Forstweg ins Tal rauschen. Zum Glück fängt hier für MTBs der blaue Almtrail an, ein rockiger Zubringer zum beliebten Bergkasteltrail. Auf dem Almtrail umgehen wir die Cartstrecke. Schon sind wir mittendrin im Bikepark der 3-Länder Enduro Trails. Wir sind ja nicht wegen des Bikeparks hier, aber was wir von ihm gesehen haben oder gefahren sind, macht definitiv Lust auf mehr. Die Linien der Trails ziehen hinunter nach Nauders oder, wie der Bunkertrail, zum Reschensee. Es handelt sich um Naturtrails, deshalb sind die Eingriffe in die Landschaft nicht so brutal wie sonst oft in Bikeparks.

Der Almtrail kommt bei der Stieralm heraus, wo wir auf dem Forstweg geradeaus weiter bergauf fahren und bald auf den flowigen Plamorttrail einbiegen, der über den Plamortboden führt, ein wunderschönes Hochmoor in alpiner Umgebung. Ein umso krasserer Gegensatz dazu sind die Panzersperren, die hier auf Hunderten Metern Länge vom faschistischen Italien gegen mögliche Invasoren aus Nazideutschland in den Boden gerammt wurden. Sie kamen nie zum Einsatz, der strategisch wichtige Ort wurde kampflos übergeben. Heute ist das Areal, zu dem auch mehrere Bunker gehören, ein Kriegsmahnmal und ein beliebtes Ziel von Wanderungen und MTB-Touren.

Panzersperren aus dem Zweiten Weltkrieg am Plamortboden

Glücklich am Ziel

Nach 500 Metern über einen Wiesenpfad sind wir endlich am Ziel. Vom “Poser”-Felsen aus schauen wir hinunter auf den Reschensee. Weit im Süden ist trotz dunstiger Witterung die Silhouette des Ortlers zu erkennen. Eine Szenerie wie im Traum, die eine Glückswelle durch die Seele spült. Lange stehen wir auf dem Felsen, erinnern uns an die Erlebnisse der vergangenen Tage, machen Fotos und unterhalten uns mit anderen Bikern über ihr Woher und Wohin.

Blick vom Plamorter Aussichtsfelsen auf den Reschensee, im dunstigen Hintergrund ist der Ortler gerade noch zu erkennen.

Wir nehmen denselben Weg zurück bis zur Stieralm, wo es die letzte Fritattensuppe dieser Tour gibt. Dann rollen wir auf dem Forstweg durch den Kompatschwald zurück ins Tal von Nauders bis zur Talstation der Bergkastelbahn. Dort ist der Treffpunkt mit unserem Busshuttle zurück nach Garmisch.

Stieralm

Superpünktlich rollt der Kleinbus auf den Parkplatz, eine Rampe wird herausgeschoben, Räder und Rücksäcke werden verstaut. Weil Werktag und noch keine Ferienzeit ist, brauchen wir über den fast autofreien Fernpass nur eineinhalb Stunden zurück nach Garmisch.

Tipp: Ein individueller Bus-Shuttle für Mensch und Material von Nauders nach Garmisch kostet um die 300 Euro, der Preis berechnet sich nach Kilometern. Dieses Angebot kann also für kleine Gruppen durchaus attraktiv sein. Unser Bustransfer hat super geklappt, weil wir antizyklisch unterwegs waren. Am Wochenende und in den Schulferien muss man auf der Strecke über den Fernpass allerdings mit Staus rechnen.

 

Mein Fazit zur Tour: All die schönen Berge der verschiedenen Alpenmassive zu sehen und dort mit dem Bike unterwegs zu sein, war ein wunderbares Erlebnis. Je näher am Ziel, desto höher wurden die Gipfel ringsum. Die Bike-Infrastruktur in Westtirol ist sehr gut ausgebaut, Stichwort Netz von Bikeunterkünften und Ladestationen für E-Bikes. Man fühlt sich mit dem Bike willkommen in der Region.

Außer dem Fernpass werden auf dem Bikeeverest Tirol keine Passhöhen überquert, die Strecke orintiert sich im Großen und Ganzen ab Imst am Verlauf des Inn. Es fehlt deshalb ein bisschen das Gefühl, sich diese Alpenregion durch das Überwinden von Pässen zu erschließen. Deshalb haben wir zwischen Landeck und Pfunds das Fisser Joch eingebaut. Die fehlenden Passerlebnisse werden aber mehr als wettgemacht durch die spektakulären Gipfel und Täler, die man in den verschiedenen Bergstöcken auf jeder Etappe kennenlernt.

Ich habe gemerkt, dass sich Biken auf Mehrtagestouren mit Gepäck stark von MTB-Tagestouren unterscheidet, zum Beispiel ist Trailfahren im Bikepark keine so gute Idee. Nicht zu unterschätzen ist, dass das Navigieren mit dem Smartphone am Lenker in fremden Bergregionen ausdauernde Konzetration erfordert und sehr kräftezehrend sein kann, vor allem wenn man auf gesperrte Wege und Umleitungen trifft oder sich verfährt.

Es ist so wie mit den meisten schönen Dingen. Wenn man einmal Geschmack daran gefunden hat, kommt man nicht mehr so leicht davon los. Im Kopf geistern schon Ideen für die nächsten Mehrtagestouren herum.