Hermann Buhl ist eine Bergsteigerlegende aus der Generation lange vor dem Massenandrang auf die Himalayagipfel. Alpingeschichte hat er als Erstbesteiger des Nanga Parbat und des Broad Peak geschrieben. Berühmt geworden ist er auch dafür, dass er am Nanga Parbat, den er im Alleingang erstbestiegen hat, das Stehbiwak auf einem schmalen Felsband überlebte, für Reinhold Messner eine der beeindruckendsten Leistungen in der Geschichte des Alpinismus.
Die Erstausgabe von Achttausend drüber und drunter erschien 1954 und wurde zum internationalen Bestseller. Buhls Originalmanuskript ist verschollen. Für die Erstausgabe redigiert wurde es von dem österreichischen Bergsteiger und Journalisten Kurt Maix, der ein Freund Buhls war. Selbstzeugnisse von Maix lassen darauf schließen, dass er bei der redaktionellen Bearbeitung von Buhls Manuskript sehr frei und wohl teilweise auch verfälschend vorgegangen ist. Maix war Nationalsozialist und veröffentlichte zwischen 1933 und 1945 Bücher mit Titeln wie “Der Mensch am Berg” und “Bergler, Bauern, Kameraden“, im Geist des Nationalsozialismus verfasste, und diese Geisteshaltung merkt man Achttausend drüber und drunter leider etwas an. Dazu gehört die zum Heroisieren neigende Sprache, aber auch die Darstellung bzw. das Weglassen von Ereignissen. Ein Beispiel: Hermann Buhl wird 1943 im Alter von 18 Jahren zum Wehrdienst eingezogen und Gebirgsjäger in Italien. Nach Kriegsende verbringt er zwei Jahre in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Im Buch findet man zu der Zeit in Krieg und Gefangenschaft kaum mehr als einen kurzen Satz.
Der Krieg, die Gefangenschaft, eine zweijährige Pause, vermochten nicht, meinen Drang in die Berge zu beeinträchtigen.
Eine zweijähre Pause, mehr nicht? Nahtlos geht es weiter mit der Besteigung der Lalidererwand im Karwendel. Mich hat das schon gewundert, dass zwei lange Jahre Gefangenschaft bei einem so jungen Menschen anscheinend keine Spuren hinterlassen haben. Vor diesem Hintergrund ist es ein Glücksgriff des Verlags, in der aktuellen Ausgabe von 2021 erstmals die Originaltagebücher Buhls von Nanga Parbat, Broad Peak und Chogolisa zu ergänzen, also Hermann Buhl im O-Ton. Kommentiert werden die Tagebücher von Kurt Diemberger, einem Weggefährten Hermann Buhls.
Hermann Buhl stammt aus Innsbruck, wo er 1907 geboren wurde. Er ist eher klein und schmächtig, dafür sagt man ihm schon als Kind großes Klettertalent und einen eisernen Willen nach. Als Teenager klettert er auf die Gipfel der Nordkette und des zentralen Karwendels. Seine besondere Leidenschaft sind Winterbegehungen, die für Buhl ein perfektes Training für die anstehenden Ziele in den Westalpen sind. Hermann Buhl klettert schwierigste Routen in den Ost- und in den Westalpen, darunter viele Erstbegehungen wie zum Beispiel die Gesamtüberschreitung der Aiguilles von Chamonix im Jahr 1950.
1953 wird Hermann Buhl von Karl Herrligkoffer zu einer Nanga-Parbat-Expedition ins Karakorum eingeladen. Herrligkoffer arbeitet als praktischer Arzt in München und ist der Stiefbruder des 1934 am Nanga Parbat tödlich verunglückten Willy Merkl, zu dessen Gedächtnis Herrligkoffer die Expedition unternimmt. Bis in die späten 1980er Jahre organisiert er verschiedene Expeditionen in den Himalaya und in den Karakorum, darunter die berüchtigte Nanga-Parbat-Expedition von 1970 mit den Messner-Brüdern, bei der Günther Messner ums Leben kam. Herrligkoffers Art, Expeditionen zu leiten, ist umstritten, er gilt als autoritär. Unbestritten ist jedoch sein Geschickt, Geldgeber und Sponsoren für seine großen Expeditionen zu gewinnen.
Hermann Buhl gehört bei der Nanga-Parbat-Expedition von 1953 zur Gipfelmannschaft, die es bis ins Lager vier auf 6.900 Metern schafft. Das Wetter ist anhaltend schlecht, deshalb sollen er und seine Begleiter eigentlich abbrechen und ins Basislager zurückkehren. Doch der wiederholt per Funk übermittelte “Rückzugsbefehl” aus dem Hauptlager wird von den Dreien wegen einer unverhofften Schönwetterperiode verweigert. Am 3. Juli 1953 erreicht Hermann Buhl allein und ohne zusätzlichen Sauerstoff den Gipfel. Damit gelingt ihm die einzige Erstbesteigung eines Achttausenders im Alleingang. Beim Abstieg wird es schon dunkel, als sich der Riemen eines Steigeisens löst. Ohne Seil und mit nur einem Steigeisen tastet sich Buhl durch schwieriges Geländer weiter bergab, bis die Nacht kein Weiterkommen mehr zulässt. Dass Buhl die extremen Strapazen und dann auch noch das unfreiwillige Stehbiwak auf einem schmalen Felsband nicht weit unterhalb des Gipfels überlebt, hat er wahrscheinlich nicht nur seinem technischen Können und seinem starken Überlebenswillen, sondern auch dem Umstand zu verdanken, dass er Padutin (ein kreislaufförderndes Mittel) und Pervitin (Metamphetamin) im Rucksack hatte.
Endlich spüre ich wieder etwas Festes unter mir - und schon fühle ich mich gerettet. Der Stand bietet beiden Füßen Platz. Zum Sitzen ist er allerdings zu klein, so muß ich eben stehend abwarten. […] Zwar fehlt mir jetzt der Biwaksack zum richtigen Kälteschutz, und auch ein Seil, um mich vor dem Absturz zu sichern, aber trotzdem erweckt der Gedanke an die bevorstehende Nacht in mir kein Grauen. […] Da fällt mir das Padutin ein! Ein kreislaufförderndes Mittel, ein Schutz gegen Erfrierungen. Fünf dieser kleinen Pillen würge ich hinunter, sie bleiben mir fast im Halse stecken. In der linken Hand halte ich die beiden Skistöcke. Hoffentlich entfallen sie mir nicht, ich brauche sie noch! Die Rechte klammert sich an einen Griff. Ich schaue nochmals auf die Uhr - neun Uhr abends. Hoffentlich hält das Wetter …
Das Wetter hält, aber Buhl braucht einen ganzen weiteren Tag, bis er am nächsten Abend, nach mehr als 40 Stunden, im Hochlager ankommt und mit Tee und erster medizinischer Hilfe versorgt wird. Wegen schwerer Erfrierungen an den Füßen müssen später die Zehen seines rechten Fußes amputiert werden.
Drei Jahre später bricht Hermann Buhl erneut ins Karakorum auf, diesmal mit einer österreichischen Kleinexpedition zum noch unbestiegenen Broad Peak (8.051 m), einem Nachbarberg des K2. Hermann Buhl gilt als Vater des Alpinstils, der sich als Gegenteil des Belagerungsalpinismus der großen Expeditionen versteht. Im Alpinstil wird der Berg ohne zusätzlichen Sauerstoff, ohne vorher eingerichtete Hochlager, ohne Fixseile und ohne Hochträger bestiegen. Die Ausrüstung inkl. Zelt wird im Rucksack getragen. Jahrzehnte vor Messner und Kammerlander gelingt den drei Österreichern Wintersteller, Schmuck, Diemberger und Buhl am 9. Juni 1957 im Alpinstil die Erstbesteigung des Broad Peak. Zusammen mit Kurt Diemberger ist Hermann Buhl der einzige Mensch, der zwei Achttausender erstbestiegen hat.
Nur zwei Wochen nach der geglückten Erstbesteigung des Broad Peak machen sich Hermann Buhl und Kurt Diemberger auf, um als Erste den Gipfel der nicht weit entfernten Chogolisa (7.668 m) zu besteigen. Kurz unterhalb des Gipfels kommen sie in einen Schneesturm und müssen umkehren. In einem Wächtenabbruch wird Hermann Buhl in die Tiefe gerissen. Kurt Diemberger überlebt nur deshalb, weil die beiden nicht am Seil gegangen sind. Das Buch schließt mit dem Bericht Diembergergs, der nach seiner Rückkehr ins Basislager zu Protokoll genommen wurde.
Fazit
Die akribischen Beschreibungen der unzähligen Klettertouren Hermann Buhls in jungen Jahren in den Ostalpen habe ich manchmal überblättert. Die zweite Hälfte des Buchs, in denen Buhl zu den hohen Gipfeln der Westalpen und schließlich in den Himalaya aufbricht, ist höchst spannende Alpingeschichte. Man versteht, warum Hermann Buhl viele Generationen von Bergsteigern nach ihm beeinflusst und geprägt hat.
Sehr interessant sind die stichpunktartig notierten Bergtagebücher Buhls von Nanga Parbat, Broad Peak und Chogolisa am Ende des Buchs. Hier bekommt man einen ungeschönten Einblick in die Höhen und Tiefen des Extrembergsteigens in Zeiten, als die Handschuhe der Kletterer noch Fäustlinge aus Wolle waren, und auch in die manchmal erbitterten Auseinandersetzungen, zu denen es unter den Teilnehmern solcher Expeditionen kommen kann.
Im Bildtafelteil in der Buchmitte sind farbige und Schwarzweißfotos von den verschiedenen Bergunternehmungen und von Weggefährten Hermann Buhls abgedruckt. Auch das berühmte Gipfelfoto von Buhls Eispickel mit dem Tiroler Wimpel auf dem Gipfel des Nanga Parbat fehlt nicht.
Titel: Achttausender drunter und drüber